Wer heute vor der weltberühmten Skyline von Pudong steht, kann sich schwerlich vorstellen, dass Shanghai schon sehr lange eine schillernde und sehr dynamische Stadt ist. So entstand die Skyline mit den beeindruckenden Wolkenkratzern zwar erst in den letzten 20 Jahren, doch schon vor 100 Jahren war das ‚Paris des Ostens’ eine Stadt mit weltoffenem Flair.
Stadtentwicklung
Durch zahlreiche Einwanderer zu Beginn des letzten Jahrhunderts sind am ,Bund’, der grossen Uferpromenade gegenüber von Pudong, prachtvolle Handelshäuser, Banken und Hotels im westlichen Stil entstanden. Die Einflüsse sind auch heute noch spürbar – die Mischung zwischen westlichem und chinesischem Stil ist fast einzigartig und bestimmt heute das Leben der offiziell über 18 Millionen Einwohner. Dazu kommen schätzungsweise noch zwei bis drei Millionen nicht gemeldeter Arbeiter.
Dass die Stadt trotz der vielen Einwohner und der daraus resultierenden Herausforderungen immer noch – und dies im Gegensatz zu vielen anderen Metropolen dieser Welt – erstaunlich gut funktioniert, basiert auf zwei Faktoren. Einerseits ist es der Traum der Regierung, den sie beharrlich verfolgt: ‚Bessere Stadt, besseres Leben’, ein Regierungsprogramm mit vielen Aspekten. Andererseits wurden die Weichen für die Entwicklung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit 3 massgebenden Schritten gelegt. Der 1. Schritt war, eine Brücke über den Suzhou-Fluss zu bauen und damit die südlichen und nördlichen Stadtbezirke besser miteinander zu verbinden. Der 2. Schritt war die Entwicklung des ehemals trostlosen Pudongs in einen neuen Bezirk in der Stadt. Ein Unterwassertunnel und eine neue Brücke verbanden Pudong mit dem am Huangpu-Fluss gelegenen Bezirk Puxi.
Mit einer für europäische Verhältnisse unvorstellbaren Geschwindigkeit entwickelte sich Pudong durch moderne Einrichtungen und die globale Orientierung zu einem führenden Finanzzentrum. Der 3. Schritt beinhaltet die Einbindung des ganzen Jangtse-Deltas. Durch eine neue Hangzhou-Brücke im Süden und der Shanghai-Jangtse-Brücke im Norden stellt die Stadtentwicklung nun die Weichen für die weiteren Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Vorreiter und Vorbild
Shanghai dokumentiert sich damit immer noch als Schrittmacher der Geschichte in China. Schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hat Shanghai eine wichtige Vorreiterrolle bei der Reform- und Öffnungspolitik Chinas eingenommen. So flanierten schon früh Pärchen ganz unbeschwert Arm in Arm über die grosse Promenade – unvorstellbar für ein Land, in dem schon öffentliches Händchenhalten zu strengen Sanktionen führte.
Auch die Impulse der 80er-Jahre, als Shanghai seine Industriestruktur neu organisierte, waren massgebend für das ganze Land. Auch wenn nur 1% aller Chinesen in Shanghai leben und die Stadt nur 0.06% der gesamten Landesfläche einnimmt, ist die Bedeutung von Shanghai heute für ganz China unumstritten. Shanghai trägt alleine über 12% zum staatlichen Steueraufkommen bei. Der Stellenwert von Shanghai für China und die Finanzwelt zeigt sich auch in anderen Zahlen: Heute sind über 690 Finanzinstitute vor Ort, davon über 170 mit ausländischer Beteiligung. Mehr als 220 multinationale Unternehmen haben hier ihren Regionalsitz. Der Hafen von Shanghai ist mit einem Güterumschlag von über 580 Millionen Tonnen seit Jahren der grösste Hafen der Welt. Und die Ausgaben von doppelt soviel Prozentpunkten des BIP im chinesischen Vergleich für Forschung und Entwicklung sind ein weiterer Faktor, um ein Vorbild für andere Städte zu bleiben.
Die Bewohner haben einen massgeblichen Anteil an dieser Entwicklung. Schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen viele Menschen aus Europa nach Shanghai – China war zu diesem Zeitpunkt auch das einzige Land der Welt, das jüdische Flüchtlinge ohne Visumszwang aufnahm. Diese offene Haltung zeigt sich auch heute bei der jungen Mittelschicht. Sie sind stolz darauf, wie sich die Stadt entwickelt hat und tragen durch ihre Anstrengungen bei der Bildung, die bei vielen Familien einen hohen Stellenwert hat, massgeblich zur weiteren Entwicklung bei. Durch die Expo 2010 sind weitere Entwicklungen für die Dienstleistungsindustrie in Gang gebracht worden. Auch ist ein kräftiger Schub in der industriellen Weiterentwicklung auf einem noch höheren Niveau spürbar.
Zukunft
Alle diese Faktoren werden Shanghai in den nächsten 10 Jahren weiter zu einem globalen Finanzzentrum wachsen lassen. Und trotz aller Entwicklungen und Umbrüche wird Shanghai eines beibehalten: Seinen Traum: ‚Bessere Stadt, besseres Leben’. Die Fehler anderer Grosstädte dieser Welt will man hier vermeiden. Und dass dies möglich ist, werden Sie spüren, wenn Sie abends am Bund stehen und die Skyline mit dem 468m hohen Orient Pearl Tower betrachten. Die 11 Kugeln im Turm symbolisieren einen traditionellen Vers des Dichters Bay Juyi, demzufolge das klassische Zupfinstrument Pipa wie Perlentropfen klingt, die auf eine Jadeplatte fallen’. Geschichte und Moderne sind also keine unüberwindbaren Gegensätze – Shanghai ist das beste Beispiel dafür.
Autor: Daniele Bardaro